Autorin werden #5: Was, wenn die Veröffentlichung schiefgeht bzw. Schreiben in persönlichen Krisenzeiten

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Content Warnung: Persönliche Krisen, Angst und Zwang

Meine erste Veröffentlichung - die ganze Geschichte

Ich habe Angst.

Dieser Gedanke begleitet mich seit vielen Jahren und dabei sind die drei Worte viel zu klein, um das Gefühl zu beschreiben, von dem ich spreche, wenn ich sage: 

Ich habe Angst.

Was ich wirklich fühle, lässt sich nur schwer in Worte fassen. Wenn man es trotzdem versuchen will, sind Metaphern vermutlich der beste Weg. Hier ein paar Beispiele von mir selbst und anderen Betroffenen:

  • Ich fühle mich, als wäre ich unter Wasser, als könnte ich alles sehen, hören, fühlen, aber nichts mehr davon wahrnehmen, als würde ich einfach aus der Zeit purzeln.
  • Ich fühle mich, als würde mich schwarzes Pech in meinen Lungen von innen heraus verbrennen.
  • Ich fühle mich, als hätte ein Virus meine Gedanken befallen.
  • Ich fühle mich, als hätte ich eine kaputte Schallplatte im Kopf.
  • Wenn Gedanken Schneeflocken sind, dann stehe ich mitten in einem Blizzard, der mich blendet und überwältigt.
  • Gedanken kommen wie Kugeln bei einem Maschinengewehr.

Besonders schlimm wurden die angstvollen Gedanken und Gefühle kurz vor und nach der Veröffentlichung meines Debütromans “Tales of Toria 1”. Die erste Nacht nach der Veröffentlichung habe ich auf dem Badboden meiner kleinen Wohnung verbracht, um meinen Partner nicht zu wecken, und habe hektisch durch das Buch geblättert, um eventuelle “Fehler” aufzuspüren, die mir zum Verhängnis werden könnten.

Was ist, wenn sich jemand durch meine Geschichte auf den Schlips getreten fühlt, etwa die LGBTQ+ – Community?

Was ist, wenn ich aus Versehen r4ssistische Passagen eingefügt habe, ohne es zu merken?

Was ist, wenn ich mit manchen Passagen Markenrechte oder Persönlichkeitsrechte verletze oder gar plagiiere?

Was ist, wenn ich abgemahnt werde?

Was ist, wenn Menschen die Rechtschreibfehler im Buch entdecken und mir dann eine grottige Rezension hinterlassen?

Und das war nur der Anfang. In meinem Kopf tobte bis dato der schlimmste Blizzard meines Lebens und ich konnte ihn in den darauffolgenden Wochen nicht mehr stoppen. Ich schlief viel und wollte nicht mehr wach sein, denn nur im Schlaf hatte ich zeitweise Ruhe vor dem Maschinengewehr in meinem Kopf.

Hinzu kam, dass ich mein Debüt vier Wochen nach Veröffentlichung noch einmal neu auflegen musste, da es Probleme mit meinem anfänglich gewählten Pseudonym gab. (Mittlerweile schreibe ich unter meinem bürgerlichen Namen). Außerdem wurde in der Zeit zwei Mal meine frisch aufgesetzte Webseite gehackt und andere nervenaufreibende Problemchen häuften sich täglich an. In dieser Zeit habe ich buchstäblich die Scheiße angezogen.

Mein Tag bestand nur noch aus Panik und unruhigem Schlaf. Meine Familie und Freundinnen versuchten mir zu helfen, aber sie konnten mich nicht verstehen. Sie versetzten sich in meine Lage und fanden sie unangenehm und nervig, aber weit entfernt von einem Weltuntergangsszenario. Doch ich lebte in ständiger Todesangst. An den schlimmsten zwei Tagen saß ich bei strömendem Regen im Matsch auf dem Waldfriedhof und betete, dass es aufhören möge. Langsam begriff ich, dass ich ein Problem hatte und dass dieses nichts mit dem Buch zu tun hatte.

So hatte ich mir die Veröffentlichung meines Debüts nicht vorgestellt. Ehrlich gesagt, viel schlimmer hätte es damals nicht kommen können. Auch wenn das nicht meine erste problematische Phase war und ich mit einigen Turbulenzen durchaus gerechnet hatte, war das ein Level, das selbst ich nicht hatte kommen sehen.

Drehen wir die Zeit einmal zwei Jahre nach vorne. Ich habe mir zum Glück sehr zeitnah nach diesen Vorfällen Hilfe gesucht und auch Hilfe bekommen. Trotzdem gab es seitdem gute und schlechte Phasen und für eine zweite Veröffentlichung habe ich mich bis jetzt nicht stark genug gefühlt. Aber ich bin motiviert und weiß jetzt besser, was bei einer Veröffentlichung auf mich zukommen wird und ich bin vorbereitet, wenn die Angstgedanken – oder besser gesagt die Zwangsgedanken – zurückkommen.

Mittlerweile weiß ich nämlich, dass ich eigentlich gar keine Angst habe. Eigentlich finde ich es sogar sehr mutig, sich im Internet zu zeigen und einen Roman mit queerem Hauptcast im Selbstverlag zu veröffentlichen. Die meisten Menschen trauen sich das nicht.

Anstatt richtiger Angst drängen sich mir manchmal Zwangsgedanken auf. Diese reden mir die Angst dann so lange ein, bis ich daran glaube. Wie eine schlechte Beraterin im Kopf, die ein riesiges Megafon hat und damit alles andere übertönt. Außerdem schreit diese Beraterin los, wann immer sie will. Ihr ist egal, ob ich eigentlich gerade schlafe oder beim 80. Geburtstag der Oma sitze und Kuchen esse. Ihr ist egal, was mein gesunder Menschenverstand sagt, sie schreit einfach so lange und laut, bis es in meinem Kopf nichts mehr anderes gibt außer ihre Stimme durchs Megafon.

Bevor ich wusste, was in meinem Kopf eigentlich los ist, habe ich sehr oft darüber nachgedacht, ob ich vielleicht verrückt bin. Denn das war die einzige logische Erklärung für den Krieg, der während dieser Zeit in meinem Oberstübchen stattgefunden hat.

Heute weiß ich, dass ich weder verrückt bin noch mit der Feindin in meinem Kopf leben muss. Es gibt viele Menschen mit Zwangsgedanken, sogar einige meiner (Kindheits-) Idole wie die ehemalige Schauspielerin Jennette McCurdy oder der Autor John Green, der sogar einen Roman darüber geschrieben hat. Das gibt mir Mut, dass auch ich meine Träume verwirklicht sehen kann, trotz der gelegentlichen Turbulenzen in meinem Kopf.

 

Außerdem war das auch die Inspiration für mich, offen über meine Erfahrung mit psychischen Problemen zu sprechen, denn wenn immer mehr Menschen das tun, sind wir vielleicht bald weniger allein.

Wenn es euch nicht gut geht, holt euch bitte Hilfe. Lieber einmal zu oft als einmal zu wenig. Und wenn ihr jemanden in eurem Umfeld habt, dem es vielleicht nicht gut geht, versucht ihn bitte nicht mit hingerotzten Antworten abzuspeisen oder ihm seine eigene Wahrnehmung abzusprechen. Ihr wisst nicht, was wirklich in einer Person vorgeht. Und wenn ihr mal einen Fehler gemacht habt, dann entschuldigt euch. Wir sind alle nur Menschen.

Sätze, die ich nicht (noch einmal) hören will:

  • Reiß dich zusammen, ist doch alles halb so wild.
  • Hättest du es eben anders gemacht, dann hättest du das Problem jetzt nicht.
  • Nächstes Mal musst du das besser machen.
  • Lenk dich doch einfach ein wenig ab, geh mal raus!
  • Andere haben diese Probleme doch auch nicht.
  • Du musst Werbung für dein Buch machen, wolltest du nicht Autorin werden?
  • Quatsch, psychisch ist bei dir doch alles in Ordnung.
 

Sätze, die mir geholfen haben:

  • Ich weiß leider nicht mehr, wie ich dir helfen soll. Bitte rufe bei einer Krisenpsychologin an.
  • Es tut mir leid, dass ich das einfach so unbedacht gesagt habe. Es war nicht so gemeint.
  • Ich gehe mit dir spazieren, auch wenn es mitten in der Nacht im Winter ist, damit du nicht alleine da durch musst.